Vorgeschichte: Der einsame Astronaut
Manche berichten bei Sauerstoffmangel von einem Schwindelgefühl, einem Delirium, beinahe schön und gespickt mit Glücksgefühlen. Dem einsamen Astronauten auf der O'Neill Station Zero im Orbit der Erde überkamen bei dem steigenden Sauerstoffmangel eher Übelkeit, Kopfschmerzen und Schweißausbrüche. Er konnte in diesem Zustand nichts glückseliges finden, es war eher beängstigend und erdrückend.
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Seine Mission war klar: er sollte die Grundsteine für eine O'Neill Kolonie legen. Der Traum der Wissenschaft war es, Tausende Menschen auf einer solchen Station im Orbit der Erde zu beherbergen. Beginnen wollte man mit einer Teststation, die sich autark erhalten konnte und lediglich 3 Menschen beherbergte. Ihr Name war O'Neill Zero. Der einsame Astronaut hieß Riku Takahashi und war Biologe - spezialisiert auf den Anbau von essbaren Pflanzen in der Schwerelosigkeit. Um eine Raumstation nach dem Konzept O'Neills bewohnbar machen zu können, benötigte man natürlich eine Nahrungsversorgung als Grundlage und daran forschte er. Riku sammelte Forschungsdaten über das Wachstum und die Beschaffenheit von Kartoffeln, Tomaten und Sojabohnen, die im Weltraum angebaut wurden.
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Als er zu seinen Pflanzen blickte, fühlte er fast mehr Trauer über das gescheiterte Projekt, als über seinen nahenden Tod. Alles ging sehr schnell. Vor zwei Tagen waren sie noch zu dritt auf der Station, versuchten auf engem Raum einer täglichen Routine des Sammelns von Forschungsdaten, Freizeitbeschäftigungen und Zusammenlebens Millionen Kilometer von der Erde entfernt nachzugehen. Der Mannschaft war bewusst, dass ein Meteoritenschauer an der Station vorbeizog. Der Weg dieses Schauers führte circa 2 Millionen Kilometer von ihnen entfernt entlang - man musste sich laut Aussage der Bodenstation in Houston, die Rücksprache mit dem Columbus-Kontrollzentrum gehalten hatte, keine Sorgen machen. Vier Tage nachdem der Schauer vorbeigezogen war, traf ein Meteorit von der Größe eines Kühlschranks die O'Neill Station Zero und durchschlug ihr Lebenserhaltungssystem. Die Chefin der Station starb beim Aufprall des Meteoriten, ihr Ingenieur beim Versuch das Lebenserhaltungssystem zu reparieren. Der Kontakt zur Bodenstation war seit diesem Tag abgebrochen und Riku atmete von nun an seine eigene Luft, die sich zunehmende verbrauchte und kaum noch gefiltert wurde. Der Meteorit musste sich mit einer Geschwindigkeit von circa 100 000 km/h bewegt haben. Die Chance, dass er tatsächlich ihre kleine Station im Orbit traf, lag bei 1:18000000000 - was ungefähr der Chance gleichkam fremdes Leben im All anzutreffen. Statt eines Meteoriten hätte die Station genauso gut auch von einer fremden, nicht menschlichen Lebensform besucht werden können, die sie mit einem Laserstrahl durchbohrt. Ein coolerer Tod als an seiner eigenen verbrauchten Luft zu ersticken, dachte sich Riku lächelnd. Aber das Schicksal hatte sich anders entschieden und ließ ihn langsam aber sicher sterben, statt schnell und von Laserstrahlen verbrannt.
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Der einsame Astronaut saß in seinem Labor, um ihn herum seine Pflanzen, die genau wie er langsam erstickten. Immerhin brachten sie ihm noch ein paar gereinigte Sauerstoffmoleküle, während er sie noch ein bisschen mit Kohlenstoffdioxid versorgte. Zunehmend wurde ihm langsam schwindelig und er fühlte sich wie betrunken, während er auf dem kalten metallenen Boden saß. Er träumte davon etwas Großes zu erreichen, eine bemannte Raumstation für tausende von Menschen ermöglicht zu haben. Vielleicht hätten Geschichtsbücher von ihm geschrieben oder Straßen wären nach ihm benannt wurden. Die Riku Takahashi Road in New York klang gar nicht verkehrt. Jetzt starb er hier alleine. Sicherlich würde man sich an ihn und den tragischen Fall erinnern, als eine Raumstation unglücklicherweise von einem Meteor getroffen wurde und ihre gesamte Mannschaft starb - ein Geschichtsheld würde er aber nicht werden.
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Ruhe. Im Weltall herrschte unglaubliche Ruhe. Da war nichts außer das leise Surren der Gerätschaften, die ihrer Arbeit nachgingen und nicht bemerkten, dass ihre kleine Welt genauso unterging wie Rikus. Maschinen arbeiten nach ihrem Schema, so lange es geht und wenn es nicht mehr weitergeht, schalten sie sich ab, um keinen Strom mehr zu verbrauchen. So funktionierte auch der menschliche Körper, grübelte Riku und blickte nachdenklich seine gut gewachsenen Pflanzen an.
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Ein grelles Licht blendete ihn plötzlich direkt vor sich und riss ihn aus seinen Gedanken. Er hielt sich die Hände schützend vor die Augen. Ein rundes etwas erschien vor ihm, mit bläulichen Rand. Das musste das Jenseits sein, von dem alle immer sprachen! Es gab es also wirklich und seine letzte Minute hatte wohl angeschlagen. Doch da war kein Gott oder Jesus zu sehen, die ihn begrüßten, sondern ein blondes Mädchen. Sie hatte einen Bob Schnitt, trug eine schwarze Lederjacke und unterhalb ihres rechten Auges verliefen gerade schwarze Striche ihrer Wange entlang. Hinter dem Mädchen schien ein Strand zu sein. Riku hörte das Meer rauschen. So hätte er sich den Himmel nicht vorgestellt, es könnte aber auch schlimmer sein, denn er liebte das Meer.
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"Nahrung?" fragte ihn das Mädchen. "Hast du hier Nahrung, Mann im Mond?" Sie klang dabei naiv, aber auf eine niedliche und unterhaltsame Art. Riku blickte hinter das Mädchen. Da saß ein Mann, auf seinem Kopf ein Tuch, mit einen ungepflegten Bart. Er trug die Kleidung eines Seemanns, wie sie Riku aus Piratengeschichten kannte. Ja, wenn ihn nicht alles täuschte, hatte dieser Mann die Kleidung eines Piraten an. Er sah müde und erschöpft aus, mindestens genauso wie Riku selbst. Das Mädchen rüttelte ihn und holte ihn aus seinen Gedanken. Ihr Gesicht war nun sehr nah an seinem. Ihre Augen waren strahlend blau, doch bewegten sie sich merkwürdig. Eher maschinell, wie er es von Kameras kannte, die ein bewegliches Ziel verfolgten. Auch ihre Hände waren kalt wie Eis. "Wir brauchen Nahrung, Mann im Mond. Diesem Mann dort müssen Kalorien zugefügt werden, sonst werden bald seine Organe versagen. Der folgende Zustand nennt sich Tod."
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Sie blickte sich um, kurz blieb sie stehen und schien den Raum zu erfassen. "Ich nehme eine für den menschlichen Körper zu geringen Sauerstoffwert in diesem Raum wahr." Ihr Blick schweifte zu den Computern "Energie!" Warum klang ihre Stimme so unnatürlich? Eine kleine Kugel schwebte in den Raum. "Nehme Energie auf! Energie, Energie, Energie..." sagte sie in einem robotischen Ton, beinahe singend und begann tatsächlich mit ihm unbekannten Werkzeugen den Saft der Computer aufzunehmen. "Meine Pflanzen werden eingehen, wenn die Computer ausfallen!" brüllte Riku mit letzter Kraft, zu schwach um die Kugel von ihrem Vorhaben abzuwenden. Eine Frau kam durch ein Portal, eine Kugel malträtiert seine Computer, an einem Strand saß ein augenscheinlicher Pirat und Riku dachte an seine Tomaten und Kartoffeln, die jetzt wohl eingehen würden. "Wir nehmen deine Pflanzen mit, Mann im Mond. Da du nach meinen Berechnungen nur noch maximal 10 Stunden zu leben hast, bevor du erstickst, wirst du sie sowieso nicht mehr benötigen." dann schaute sie durch das Portal zu dem Mann am Strand "Hilf uns, Gestrandeter. Wir bringen die Pflanzen aus dieser Dimension in die deinige." rief sie dem vermeintlichen Piraten zu.
Jener Seemann schleppte sich hoch und ging vorsichtig durch das Portal. Er schien skeptisch zu sein und schaute sich verblüfft um. "So lebt also der Mann im Mond? Ich hatte mir sein Haus immer etwas weniger metallisch vorgestellt..." Der Pirat hatte ein leichtes Lächeln auf den Lippen, als er zusammen mit der Frau und der Kugel seine Pflanzen zum Strand brachte. Riku schaute dem Treiben beinahe ohnmächtig zu. Es belustigte ihn fast, dank des Schwindelgefühls. "Folgst du uns, Mann im Mond?" fragte ihn das Mädchen. "Deine Alternativen sind es in maximal 10 Stunden zu ersticken oder von einer nicht menschlichen fremden Lebensform gerettet zu werden. Die Chance dazu ist circa..." etwas schien in ihrem Kopf für ein paar Sekunden zu rechnen "1:180000000000!" Sie blickte ihn an, mit ihren stahlblauen Augen. Man ist also doch in einem wirren Delirium, wenn man Sauerstoffmangel hat. Alles war beinahe real. Er war erstaunt welchen unterhaltsamen Traum sich sein Gehirn durch den Sauerstoffentzug ausdachte - mit Piraten und Portalen. Riku stützte sich auf und schleppte sich wie selbstverständlich durch das Portal. Sobald er einen Fuß auf den Strand setzte, brach er zusammen.
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James Wallet